Freitag, 23. Oktober 2015

»Wir schaffen das« wird jetzt auch zum Börsen-Motto

»Wir schaffen das« wird jetzt auch zum Börsen-Motto

Markus Gärtner

Das Motto von Angela Merkel hält jetzt auch an den Börsen Einzug. Angesichts himmelhoher Kurse für Aktien und Anleihen – und miserablen Konjunkturnachrichten ‒ kommen bekannte Durchhalteparolen: »Wir schaffen das.« Um die völlig übertriebenen Notierungen zu halten und einen Crash zu verhindern, werden wie in der deutschen Flüchtlingspolitik alle Schleusen aufgemacht.

Bei den Börsianern geht das dann so: Nachdem die Notenbanken den Planeten mit Liquidität bis über die Ohren geflutet haben – und die Weltkonjunktur trotzdem schlappmacht – wird jetzt die Verkaufskampagne für die Wertpapiere auf neue Hochtouren gebracht.

In den USA werden in den nächsten Tagen große Handelsketten wie Kmart, Office Depot, Safeway und Toys ›R‹ Us an ihren Kassen neue Stände für Aktien-Gutscheine aufstellen. Nach jeweils 25, 50 oder 100 Dollar gestückelt sollen Kunden mit den Gutscheinen Anteile an Aktien vonCoca-Cola, Facebook, Apple und 17 anderen Publikumsfirmen erwerben.

Die Börse im Einkaufswagen. Ein wunderbares Bild im Shopping-hungrigen Amerika. Investieren im Vorbeigehen, nennt sich das.

Doch das impulsgetriebene Aktienshopping hat große Haken: Es gibt keine kritische Prüfung der Firmen, keine Beratung durch Experten, einfach nur Kasino »on the go«, beim Auschecken aus dem Supermarkt.

Neben Kaugummis, Lutschbonbons und Kondomen lauern an den Kassen des konsumverwöhnten Amerika jetzt auch Anteilsscheine auf die Ikonen der Wall Street. Das riecht nach Verzweiflung. Essieht fast so aus, als würde die Post ihre Briefmarken neuerdings in Porno-Läden vertreiben, damit die Nachfrage nicht einbricht.

Denn die Gutschein-Industrie boomt und kann ein spürbarer Treiber für das ermüdete und deprimierte Aktienvolk sein. So jedenfalls die Theorie der Urheber dieser Verkaufsidee. Geschenkkarten und Gutscheine sind in den USA eine Milliardenindustrie mit enormen Zuwachsraten. Wurden vor zehn Jahren noch knapp 52 Milliarden Dollar auf die »Gift Cards« geladen, so waren es 2014 schon 94 Milliarden.

Doch während Analysten, Investmentbanker und Marketingleute noch streiten, ob Supermarkt-Aktien wirklich eine gute Idee sind, wird dem aufmerksamen Beobachter eines sofort klar:

Die Architekten der künstlichen Börsen-Hausse, die seit 2009 mit einem Cocktail aus rosigen Berichten, billigem Geld und Aktienrückkäufen gnadenlos angeheizt wird, haben jetzt richtig Muffensausen.

Denn die Kurse der Aktien und Anleihen sind so aufgebläht wie selten in der Geschichte der Kapitalmärkte. Und sinkende Notierungen kann sich keiner leisten. Denn sie würden sofort eineneue Rezession auslösen, die in eine NOCH schärfere Finanzkrise ausarten könnte.

Mehr noch: Gehen die Anleihen mit in die Knie, schießen die Zinsen nach oben. Die Schuldenfalle für Regierungen, Unternehmen und private Haushalte würde unbarmherzig zuschnappen, wie eine Mausefalle. Mit den Kursen an der Decke und den Notenbankern am Ende ihres Lateins ist guter Rat jedoch teuer.

Dass er ausgerechnet in Form von Gutscheinen kommt, hat außer der Zugkraft der Gutschein-Industrie noch einen anderen Grund. Natürlich wollen Firmen im Umkreis der Wall Street prächtig daran verdienen. Ein Gutschein, der zum Bezug von Aktien im Wert von 25 Dollar berechtigt, wird stolze 29,95 Dollar kosten, Steuern darauf noch gar nicht berücksichtigt, denn der Staat will ja wie stets mitkassieren.

Und wer nach dem Erwerb der Gutscheine seine Aktienanteile einlösen oder abstoßen will, muss noch einmal knapp einen Dollar je Transaktion hinblättern. Das sind jeweils vier Prozent auf den Kaufpreis der kleingestückelten Gutscheine.

Nicht nur Geldgier steckt hinter dem neuen Verkaufskandal für Aktien. Es geht auch um knallharte Zahlen, die der Wall Street ein blamables Zeugnis ausstellen: Vor der Großen Rezession, die derFinanzkrise von 2008 folgte, besaßen 18 Prozent der Amerikaner Aktien. Jetzt sind es lediglich noch 13,8 Prozent. Das ist ein massiver Misstrauensbeweis für eine angeblich so rosige Anlagewelt.

Auch in Deutschland ist der Versuch, die Volksaktie zu etablieren, kläglich gescheitert. Zwei Albträume, der Dotcom-Crash und die Finanzkrise, haben seit 2001 laut dem Deutschen Aktieninstitut die Zahl der Aktiensparer hierzulande um 4,4 Millionen dezimiert.

Dass ausgerechnet Gutscheine diesen Trend stoppen sollen, glaubt wahrscheinlich niemand. Es geht nur darum, ahnungslose und um Anlage-Alternativen verlegene Sparer weiter zu schröpfen. Dass das ausgerechnet im beginnenden Weihnachtsgeschäft gemacht wird, ist ein äußerst verdächtiges Timing.

Doch wer ans Timing denkt, muss auch berücksichtigen, dass bereits die nächste Rezession im Anmarsch ist. Wer dann Aktien-Gutscheine zu Hause liegen hat, kann gleich den Kamin neben dem Weihnachtsbaum damit heizen.

Denn die Stunde der Wahrheit an den Wertpapiermärkten wird nicht aufgehoben – und mit diesem Verkaufstrick sicher auch nicht aufgeschoben.





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