Mittwoch, 7. Oktober 2015

Die Wahrheit hinter dem amerikanischen Phantom-Aufstieg

Die Wahrheit hinter dem amerikanischen Phantom-Aufstieg

F. William Engdahl

In weiten Teilen der Welt herrscht der Eindruck, die Vereinigten Staaten erlebten nach der schweren Rezession von 2007-2008 einen beeindruckenden wirtschaftlichen Aufschwung. Die offizielle Arbeitslosigkeit liegt nur bei 5,1 Prozent, zumindest behauptet das die Regierung Obama. Außerdem sprechen die Rekord-Steuereinnahmen der Regierung für das am 30. September endende Fiskaljahr 2015 für einen wirtschaftlichen Boom. Doch die Wirklichkeit sieht ganz anders aus.

Bei der Vermarktung des Märchens von einer boomenden US-Wirtschaft steht so viel auf dem Spiel, dass es die Regierung mit unglaublicher Energie verbreitet. Betrachten wir zwei Aspekte des »Aufschwungs« – die Steuereinnahmen und den Zinssatz der Zentralbank.

Wenn die Steuerbehörde der US-Regierung [Internal Revenue Service] die Bücher für das Fiskaljahr Oktober 2014 bis Oktober 2015 schließt, verzeichnet sie Steuerzahlungen in Rekordhöhe. Für die elf Monate bis zum 31. August war der Allzeitrekord mit 2,8 Billionen Dollar an Steuern bereits gebrochen, die Einnahmen lagen um fast 200 Milliarden Dollar höher als im Vergleichszeitraum des Vorjahres.
Oberflächlich betrachtet würde das die Erklärungen der Obama-Regierung über einen »Aufschwung« bei gleichzeitig niedriger Arbeitslosigkeit bestätigen. Die Realität sagt aber etwas anderes. Der Anstieg des US-Steueraufkommens in den Fiskaljahren 2013, 2014 und jetzt 2015 ist ausschließlich auf höhere Steuern zurückzuführen, auf Steuern, die die ohnehin bedrängte Mittelschicht, das Rückgrat des »amerikanischen Traums«, stark belasten. Die Obama-Regierung hat die Steuern inmitten einer Phase des Abschwungs, de facto einer Wirtschaftsdepression, erhöht.

Die Folge: Die Verbraucherausgaben haben den Höchstwert von 2007 bis heute noch nicht wieder erreicht, der Wohnungsbau liegt heute um 50 Prozent unter dem Höchststand vor der Rezession. Wie der US-Wirtschaftsanalyst John Williams, Chef des Nachrichtenbriefs Shadow Government Statistics, dem Autor kürzlich in einer E-Mail zum Thema versicherte, »geht der Anstieg zum größten Teil auf höhere Steuern zurück, einschließlich der höheren Kosten für Medicare und der Folgen von Obamacare«.

Williams rechnet vor, dass die tatsächliche Arbeitslosigkeit in Amerika nach den Standards, die das US-Arbeitsministerium in den 1960er-Jahren anlegte – bevor die Zahlen aus politischen Motiven massiv frisiert wurden – heute über 22 Prozent beträgt, nicht die von Obama behaupteten 5,1 Prozent.

Medicare ist eine staatliche steuerfinanzierte Krankenversicherung für Senioren und Menschen mit Behinderung. 2013 stieg die Steuer für Medicare von zuvor 1,45 Prozent um fast das Doppelte auf 2,35 Prozent des Lohns eines Angestellten.

Obamacare, offiziell Affordable Care Act (Gesetz über bezahlbare Gesundheitsfürsorge) genannt, ist die umstrittene obligatorische Krankenversicherung, die die einzig verbleibende Leistung von Obamas sechsjähriger Amtszeit darstellt; der Iran-Deal ist noch nicht unter Dach und Fach.

Obamacare ist enorm teuer, die Steuerzahler sind zur Zahlung gezwungen. Damit einher gehen neue Steuern, beispielsweise die Individual Mandate Excise Tax, die im Januar 2014 in Kraft trat. Danach muss jeder, der in keine – von den Bürokraten im Ministerium für Gesundheit und sozialeDienste – »zugelassene« Krankenversicherung einzahlt, eine zusätzliche Einkommenssteuer bezahlen, die für eine Familie mit drei Versicherten rund 1000 Dollar beträgt. Der Betrag wird 2016 auf 2000 Dollar erhöht.

Weitere 13 Milliarden Dollar neue Steuern pro Jahr kommen durch die eingeführte Obergrenze der flexiblen Ausgabekonten (FSA), die zynisch als »Steuer für besonders bedürftige Kinder« bezeichnet wird, weil sie den Betrag, den Eltern aus den FSAs für die Betreuung behinderter Kinder ausgeben dürfen, drastisch beschränken. Durften solche Ausgaben bisher in unbegrenzter Höhe getätigt werden, gilt dafür ab jetzt eine Obergrenze von 2500 Dollar.

Die Liste neuer Steuern, die vor allem die mittlere Einkommensschicht belasten, umfasst eine Erhöhung der Einkommenssteuern von 37,9 Prozent auf 42,5 Prozent. Rechnet man die von den einzelnen Bundesstaaten erhobenen Steuern hinzu, liegt der Höchststeuersatz im Durchschnitt bei 47,9 Prozent. 2013 stieg die Steuer auf Kapitalgewinne – Aktien, Anleihen und andere Investitionen, die die meisten Amerikaner mit mittlerem Einkommen für ihre Alterssicherung besitzen – von 15Prozent auf 28,7 Prozent, also fast das Doppelte.

Die Mittelklasse verschwindet

Wie eine neue Studie der gemeinnützigen amerikanischen Organisation Pew Charitable Trust ergab, ist der Anteil der Mittelklasse-Familien von 2000 bis 2013 in allen 50 US-Bundesstaaten zurückgegangen. Der Grund sind stagnierende oder sinkende Einkommen und steigende Wohnungskosten.

Ab 2000 kauften Millionen Amerikaner mit staatlichen Anreizen kurzentschlossen neue Häuser. Als die Blase im März 2007 platzte, sank der Wert dieser Häuser rapide, insgesamt um Billionen Dollar. Laut der Studie kassiert das oberste ein Prozent der Einkommensbezieher seit 2009 den gesamten Einkommenszuwachs, die Rede ist vom weiteren Auseinanderklaffen der Schere bei den Einkommen.

Heute ist die Kluft zwischen dem superreichen einen Prozent und der übrigen Bevölkerung so breit wie nie zuvor in der Geschichte der Vereinigten Staaten. Zudem zeigt die Pew-Studie für die letzten 15 Jahre inflationsbereinigt einen Rückgang der mittleren Einkommen in einzelnen Bundesstaaten, darunter Kalifornien und New York. Sieben von zehn Amerikanern plagen finanzielle Sorgen, von drückender Schuldenlast, zu geringen Ersparnissen oder Einkommen, die nicht zur Deckung derAusgaben reichen.

Im September 2015 liegt die Staatsverschuldung der USA bei 18.152.809.942.589 Dollar, das sind rund 103 Prozent des BIP. Die normalen, hart arbeitenden Amerikaner verlieren, während es ein paar Prozent mehr als gut geht. Diese sind zu einer amerikanischen Oligarchie geworden, der amerikanische Traum ist ausgeträumt.

Es zeugt von erheblichem Realitätsverlust, wenn das Pentagon jedes Jahr über eine Billion Dollar für Stützpunkte in aller Welt und für Kriege von Afghanistan über Irak bis Libyen, Syrien und die Ukraine ausgibt, und Obamas eigenes Land mit Armut und sinkenden Einkommen zu kämpfen hat.

Wenn die Federal Reserve seit 2007 den Leitzins nicht erhöht hat, dann deshalb, weil sie es nicht kann. Es würde die Wirtschaft zum Einsturz bringen. Die Vereinigten Staaten, die 1941 stolz den Beginn des Amerikanischen Jahrhunderts verkündeten, sind heute eher ein bankrotter Hegemon.







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