Lügen und Wahrheit – Obamas Rede vor der UN-Generalversammlung
F. William Engdahl
Wer sich die Mühe gemacht hat, US-Präsident Obamas Rede vor der UN-Generalversammlung anzuhören, ohne dabei einzuschlafen, wie es Außenminister John Kerry eindeutig am liebsten getan hätte, erkannte den klaren Kontrast zur späteren Rede des russischen Präsidenten. Schon bevor Barack Obama seinen ersten Satz beendet hatte, waren seine Emotionen zu spüren. Er legte Verachtung und Arroganz der besonderen Art an den Tag: »Wir haben die größten, schlechtesten Streitkräfte; wir bestimmen, wo’s langgeht, ihr Jungs der Länder dieser Welt.«

Geht man Obamas offiziellen Redetext durch, findet man dort kaum einen ehrlichen Satz. Es ist ein Beispiel nicht für graue, sondern schwarze Propaganda. Ich zitiere einige der ungeheuerlichsten Stellen. Ziemlich am Anfang, nach der üblichen frommen Würdigung der 70-jährigen Geschichte der Vereinten Nationen, sagt Obama: »Die Vereinigten Staaten [haben] mit vielen Ländern in dieser Versammlung zusammengearbeitet, um einen Dritten Weltkrieg zu verhindern, indem sie Bündnisse mit ehemaligen Gegnern geschlossen, die beständige Entwicklung starker Demokratien, die nicht einer ausländischen Macht, sondern ihren Bürgern rechenschaftspflichtig sind, unterstützt … haben.«
Mir fällt eigentlich keine einzige starke, ihren Bürgern rechenschaftspflichtige Demokratie ein, die von US-Interventionen der letzten Jahre unterstützt worden wäre. Im Gegenteil: Seit der US-Invasion und Zerstörung Afghanistans 2001 und des Irak 2003 initiierte das State Department unter Hillary Clinton die durch NGO und soziale Medien gesteuerte Destabilisierung des Arabischen Frühlings unter der falschen Flagge der Errichtung der Demokratie.
Weiter ging es mit der Zerstörung von Afrikas stabilstem und friedlichstem Staat, Gaddafis Libyen, und 2013 mit dem US-gesteuerten Maidan-Putsch, der in Kiew eine Truppe von neofaschistischen Hooligans ans Ruder brachte, in dem Versuch, Russland zu destabilisieren.
Jede verdeckte und offene Intervention der USA hat die Welt einen großen Schritt näher an den Dritten Weltkrieg gebracht. Der jüngste Schritt in dieser Richtung ist das amerikanische Beharren, die modernsten Atombomben auf deutschem Boden zu stationieren, was eine erhebliche Destabilisierung des derzeitigen Status Quo zwischen der NATO und Russland bedeutet.
Im weiteren Verlauf von Obamas Rede folgt auf nett klingende Worte von den wunderbaren Prinzipien der UN-Carter, von »kollektivem Unterfangen« und »diplomatischer Zusammenarbeit der großen Weltmächte«, eine unlogische Schlussfolgerung: »Ich führe das stärkste Militär, das die Welt je gesehen hat, und ich werde nie zögern, mein Land oder unsere Verbündeten zu schützen, wenn nötig unilateral und unter Anwendung von Gewalt.«
Eine Art moderner Cover-Version des Songs von Jim Croce aus den 1970er-Jahren, ungefähr so:»You don’t mess around with Barack …« (zu Deutsch etwa: du lässt dich nicht mit Barack ein) So viel zur UN-Charta. Das ist die gepanzerte Faust im Samthandschuh, die in den letzten Jahrzehnten nur allzu oft den Kern der US-Außen- und Militärpolitik darstellte.
Obama spricht dann weiter über Diktatoren und Tyrannen. Er versucht, Anschuldigungen, die USA betrieben Regimewandel via NGOs, zu entkräften: »Nicht durch eine Verschwörung von Nichtregierungsorganisationen, die von den Vereinigten Staaten unterstützt werden, werden Korruption aufgedeckt und die Erwartungen von Menschen überall auf der Welt gesteigert, sondern durch Technologie und soziale Medien.«
In Wirklichkeit ist es, wie die meisten im UN-Publikum aus persönlicher Erfahrung mit US-finanzierten NGOs wie National Endowment for Democracy, Freedom House und Sorosʼ Open Society Foundations wissen, genau dieser von Washington betriebene Regimewechsel durch»Nichtregierungsorganisationen, die von den Vereinigten Staaten unterstützt werden« und»Demokratie und Menschenrechte zu einer Waffe machen«, durch den legitime Regierungen
gestürzt werden, wenn diese sich weigern, sich Washingtons Agenda zu beugen.

Wie Enthüllungen durch Snowden und andere bestätigen, sind die US-ansässigen sozialen Medien wie Facebook, Twitter und andere eng mit CIA und State Departmentverbunden oder arbeiten mit ihnen zusammen, um den NGO-Regimewechsel zu erleichtern. Es folgt eine faustdicke Lüge. Der Präsident der Vereinigten Staaten erklärt: »Unabhängig von der Stärke unseres Militärs und unserer Wirtschaft sind wir uns bewusst, dass die Vereinigten Staaten die Probleme der Welt nicht alleine lösen können. Im Irak haben die Vereinigten Staaten die bittere Erfahrung gemacht, dass auch Tausende von tapferen, leistungsfähigen Soldaten und Billionen von Dollar unseres Finanzministeriums allein nicht in der Lage sind, Stabilität in einem anderen Land zu schaffen.«
Bei allem Respekt, Mr. President, wenn Sie die bittere Erfahrung gemacht haben, nachdem Sie »Billionen von Dollar« – nicht des Finanzministeriums, sondern amerikanischer Steuerzahler, Chinesen und anderer, die in Ihre Staatspapiere investieren – verschwendet haben, um das Debakel namens Irakkrieg zu finanzieren, warum sind Sie dann heute in Syrien?
Was machen Sie, wenn Sie heute die ukrainischen Streitkräfte ausbilden? Warum mischen Sie sich überall in der Welt ein, um die Menschen aufzuwiegeln? Warum bauen Sie Stützpunkte überall auf der Welt, wo Sie ein Loch graben können, um die amerikanische Flagge aufzupflanzen? Sie geben sogar zu, dass es ein völliges Fiasko war. Washington ist dieser Tage offenkundig weit weg von der Realität.
Schließlich spricht der Präsident den wirklichen Punkt seines derzeitigen Unbehagens an: Russland. »Nehmen Sie beispielsweise die russische Annexion der Krim und die weiteren Übergriffe auf die Ostukraine. Die Vereinigten Staaten haben kaum ökonomisches Interesse an der Ukraine. … Dennoch können wir nicht einfach zusehen, wenn so eklatant gegen die Souveränität und die territoriale Integrität eines Landes verstoßen wird. Wenn das in der Ukraine folgenlos bleibt, dann könnte das jedem Land passieren, das heute hier vertreten ist. Das ist die Grundlage der Sanktionen, die die Vereinigten Staaten und unsere Partner gegen Russland verhängen.« Diese
Erklärung ignoriert gekonnt die Realität der Entwicklungen in der Ukraine 2013-2014.

Es ist belegt, dass eine von Washington gesponserte Farbenrevolution im November 2013 die Demonstrationen auf dem Maidan-Platz gegen die legale, gewählte Regierung des korrupten, aber legitimen Präsidenten Viktor Janukowitsch in Gang brachte.
Sie wurden von US-unterstützten NGOs von George Soros und anderen buchstäblich Sekunden nach einem Tweet des von den USA unterstützten heutigen ukrainischen Ministerpräsidenten Arsenij Jazenjuk gestartet, der zu den »EuroMaidan«-Demonstrationen gegen die legitime Entscheidung der Janukowitsch-Regierung aufrief, ein wirtschaftlich attraktives Angebot Russlands anzunehmen, der neuen Eurasischen Wirtschaftsunion beizutreten.
Darüber hinaus sollte die Ukraine einen 30-prozentigen Rabatt für russisches Erdgas erhalten und Russland würde für 15 Milliarden Dollar ukrainische Staatspapiere kaufen.
Es war die neokonservative Ressortleiterin im State Department Victoria »Fuck the EU« Nuland (wer sagt, Washington habe heute vergessen, wie man diplomatisch vorgeht?), die zusammen mit Vizepräsident Joe Biden und US-Botschafter Jeffrey Pyatt sowie Dutzenden CIA-Agenten im Februar 2014 in der Ukraine den – wie George Friedman, amerikanischer Chef von Stratfor, sagte –»offensten Putsch der Geschichte« zu inszenieren.
In der Folgezeit wählte Washington die Mitglieder der ukrainischen Regierung aus, darunter sogar eine Veteranin des US State Department als Finanzministerin, berief den Sohn von Vizepräsident Joe Biden in den Vorstand der staatlichen ukrainischen Gasgesellschaft und setzte ähnliche
»US-Interessen« durch.

Der Schwindel um Syrien
Schließlich kommt Barack Obama direkt zu Syrien, dem Thema, das die russische Diplomatie jüngst ins Blickfeld der Welt rückt. Obama erklärt: »Nirgends wird unser Engagement für die internationale Ordnung stärker auf die Probe gestellt als in Syrien. Wenn ein Diktator Zehntausende seiner eigenen Bürger abschlachtet, dann handelt es sich nicht lediglich um die inneren Angelegenheiten eines einzelnen Landes, sondern es verursacht Leid in einem Ausmaß, das uns alle betrifft.«
Zunächst einmal wurde nie bewiesen, dass Assad »Zehntausende« syrischer Bürger abgeschlachtet hat. Zum Zweiten ist es der Versuch, eine hinterhältige Idee zu rechtfertigen, nämlich die »Responsibility to Protect« (RTP, Schutzverantwortung), die Washington 2011 in Libyen einsetzte, um das Land zu zerstören.
RTP stellt einen Verstoß gegen die UN-Charta dar und Washingtons »Koalitions«-Luftangriffe auf Syrien, angeblich gegen den IS, verstoßen ebenfalls gegen die UN-Charta, weil hier ein souveränes Land bombardiert wird, ohne offiziell von der Regierung dazu ersucht worden zu sein, wie es laut der 1945 von den USA entworfenen Charta erforderlich ist.
Gemäßigte syrische Opposition?
Washington beharrt darauf, zunächst den gewählten Präsidenten Assad zu vertreiben, während gleichzeitig behauptet wird, man wolle ISIL (oder IS oder ISIS oder DAESH, je nachdem welchen der vielen Namen Sie wählen) ausschalten. Russlands Position ist eindeutig: Die einzige organisierte Kraft, die heute in Syrien in der Lage ist, die terroristischen Salafisten, und zwar alle terroristischen Salafisten, auszuschalten, ist die Regierung von Bashar al Assad und die nationale syrische Armee, plus der Geheimdienst, der noch loyal zu Assad steht.
Obama spricht in seiner Rede von amerikanischer Unterstützung für »gemäßigte« oppositionelle Rebellen. Doch schon im April 2013, als ISIS noch al Qaida in Irak und Syrien hieß und vom US-ausgebildeten Leutnant Osama bin Ladens geführt wurde, dokumentierte die New York Times unter Berufung auf zahlreiche US-Vertreter, dass praktisch alle Rebellenkämpfer in Syrien hardline islamische Terroristen sind. Heute kämpfen keine »gemäßigten« Oppositionellen. Die sogenannte »gemäßigte« freie syrische Armee hat ebenfalls seit 2014 einen Nichtangriffspakt mit ISIS
unterzeichnet.

Am 16. September 2015, fast zwei Wochen vor Obamas UN-Rede, gab General Lloyd Austin III, Chef des amerikanischen »Kriegs gegen ISIS«, während einer Sitzung des Streitkräfte-Ausschusses im US-Senat zu, dass das militärische Programm, das in einem Jahr 5400 ausgebildete Kämpfer produzieren sollte, bisher nur »vier oder fünf« hervorgebracht hat, die noch aktiv vor Ort kämpfen.
Alle anderen sind ISIS oder der al-Nusra-Front von al Qaida beigetreten, der US-unterstützten »gemäßigten Opposition« zu ISIL. Bei derselben Senatsanhörung bestätigte Christine Wormuth, die für den Syrienkrieg zuständige Staatssekretärin im Pentagon, russische Angaben, als sie betonte, Assads Streitkräfte verfügten noch »über erhebliche Stärke« und es sei »noch immer die schlagkräftigste militärische Kraft im Land«. Nach derzeitiger Einschätzung brauche die Regierung keinen unmittelbaren Sturz zu befürchten.
In Moskau macht zurzeit ein Witz die Runde. Putin kehrt nach seinen New Yorker Gesprächen mit Präsident Obama über Syrien und andere Fragen zurück in den Kreml. Ein enger Vertrauter fragt, wie die Gespräche verlaufen seien. Putin berichtet, um die Atmosphäre zu kühlen und die Nerven zu beruhigen, bevor man sich schwerwiegenderen Themen wie den Kriegen in Syrien und der Ukraine widme, habe er vorgeschlagen, sich doch zunächst zu einer Runde Schach zusammenzusetzen.
Das Spiel mit Obama kommentiert er mit den Worten: »Es ist, als spiele man mit einer Taube. Erst wirft sie alle Figuren um, dann scheißt sie auf das Brett und stolziert anschließend herum, als habe sie gewonnen.«
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